Donnerstag, 29. Januar 2015

Akzeptanz + Toleranz = Mummenschanz

Dieses Thema ist heikel und relativ komplex. Ich weiss nicht, ob es nicht noch zu früh ist, dass ich das jetzt anspreche, doch es ist definitiv nötig. Es geht um Akzeptanz und Toleranz, bzw. das Vortäuschen derjenigen.
Nun, knappe 25 Jahre in denen ich regelmässig mit Personen konfrontiert war, die zwar vorgaben offen und tolerant zu sein und die Leute zu akzeptieren wie sie sind, habe ich eines gelernt… Die wenigsten sind es wirklich! Oft sitzen die Vorurteile, die ihnen eingetrichtert wurden zu tief…  Und oft sind es die Instinkte, die reagieren, gegen derer sie nicht Herr werden.

Als Gesellschaft haben wir uns seit jeher mit unseren Tabus und Paradigmen mehr geschadet als genutzt. Dereinst galt die griechische Kultur als die weitest entwickelte. Dies war derart unumstritten, dass die Römer diese in vielen Aspekten einfach übernahmen und adaptierten, ohne die Fehler auszubessern wohlgemerkt. Dann haben sie diesen Schimmel weiter geschmückt und zu Tode geritten. Ca. 450 n.Chr. haben sie die Karre in den Dreck gefahren und die darauf folgenden dunklen Zeiten des aufkommenden Christentums haben ihn mit reichlich Mist zugedeckt. Was geschah dann? Ein paar Jungs sind beim Spielen über ein Wrack gestolpert und beschlossen die Karre aufzumöbeln, Renaissance nannte sich das… Die haben allen Ernstes die selbe alte Kamelle wieder zum Rollen gebracht, anstatt sie auszuschlachten und heute fragen wir uns, wieso unser „Wagen“ so marode ist.?.

Diese Muster ziehen sich durch unsere Geschichte und gleichzeitig hören wir dauernd, dass nur Querdenker die grossen Änderungen bringen. Ich meine es gibt verdammt nochmal „Think outside the Box“-Seminare… Hallo? Wir versuchen Leuten ab Stange beizubringen, wie sie frei und kreativ denken können, nachdem wir sie in ca. 10 Schuljahren so schön auf Stangenmasse gebracht haben. Es gibt sie in den Grössen „nichtsoklug“, „normal“ und „sehrklug“ anzuwerben, oder seh ich das falsch? Frag dich mal.

Genug Geschichtsstunde und Soziologievorlesung, wir waren bei den Paradigmen. Paradigma heisst „Das Ungesagte“, sprich es sind die Bedingungen, die wir stillschweigend akzeptieren (müssen). In unserem Leben gibt’s tausende davon! Such dir schnell 3 Gegebenheiten, bei denen du jemanden fragen kannst „Wieso ist das so?“ und die Antwort ist „Ist halt so, kann man nicht ändern.“ Na, wie viele mehr als 3 sind dir eingefallen? Das Problem ist, dass wir mit so vielen dieser Paradigmen leben, dass wir keinen Überblick mehr haben. Zudem beissen sich diese oft noch und jeder stellt sich mit seinem Wertesystem noch ein eigenes Set an Paradigmen zusammen.

Ein Beispiel: Kürzlich haben sich die BLT (Baselland Transport AG) einem riesigen Entrüstungssturm stellen müssen, da sie Bilder einer Kampagne, die für mehr Verständnis und Akzeptanz für Homosexuelle wirbt, nicht auf ihren Werbeflächen zeigen wollten, da diese zu anstössig seien. Nun, nach Jahrzehnten mit vielen solchen Kampagnen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem sich Homosexuelle in der Schweiz nicht mehr verstecken müssen. Sie müssen keine Angst mehr vor Strafverfolgung haben und sie werden auch nicht mehr von wütenden Mobs mit Mistgabeln aus der Stadt getrieben. Alles gut, oder? Nein… Ich ziehe meinen Hut vor den Verantwortlichen bei der BLT, für den Mut, eine solche Meinung öffentlich bekannt zu geben, denn es ist wenigstens ehrlich. Das Paradigma zum Thema Homosexuelle  lautet nämlich „Die darf man nicht offen ablehnen, denn sie gelten als gesellschaftlich akzeptiert.“ Und da liegt der Hund auch begraben.

Wir haben die Ablehnung Homosexueller aus der Salonfähigkeit verbannt, nur um sie damit zum unkontrollierbaren Schwelbrand zu machen. Oder kannst du etwa ungelogen behaupten nie irritiert gewesen zu sein, wenn Homosexuelle ihre Sexualität offen ausleben (genau so offen, wie Heteros), bzw. niemanden zu kennen, der im Kreise von Freunden offen seine Abneigung zur schau stellt? AHA! Also doch… Da wird kräftig mit zweierlei Mass gemessen! Und das gleich doppelt, denn in diesen halbprivaten Gesprächsrunden, bei denen diese Abneigung zu Tage tritt, wird klar, dass bei „Homosexuellen“ oft noch kräftig zwischen Männern und Frauen unterschieden wird (Dabei schneidet das jeweils eigene Geschlecht meist schlechter ab). Das selbe gilt für den Rassismus, sämtliche „Identitätsfragen“ (Bsp. Transsexualität, sexuelle Präferenzen, Berufswahl, Rollenmodelle Mann/Frau usw.) und ebenso für viele Krankheiten, Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten.

Mit diesen Paradigmen des „institutionalisierten Nichtausschliessens“ und der „gesellschaftlichen Zwangsakzeptanz“ haben wir einfach eine neue weisse Weste über die verdreckte Alte  gezogen, statt diese wegzuwaschen. Ist das nun besser als das alte Vorgehen? Gelebte Redefreiheit ist das nicht! Quand même, je ne suis pas Charlie. Im Gegenteil, die Salonfähigkeit (ist sowas wie DAS OBERPARADIGMA) sagt mir heutzutage klar, wem ich welche Lüge vorzulügen habe.

Sicher fragst du dich, in welchem Zusammenhang dies zu mir steht, oder? Naja, einerseits hab ich die Schnauze von Heuchelei und Selbstverleugnung sowas von voll und andererseits bin ich mit einer Diagnose wie „Asperger-Syndrom“ prädestiniert für eine Rundumschubladisierung. Früher auch schon, „Schnuuri“ war so ein Label, „Fett-irgendwas (-klopps,-sack u.ä.)“ ein Anderes… Nichts schönes, das kann ich dir sagen! Und heute hab ich das nächste an der Backe…

Viele Asperger-Betroffene bezeichnen sich selbst mit dem Begriff „Aspi“ (bzw. englisch Aspie) und für die „Normalos“ wurde der Begriff „Neuro“ (kurz für neurotypisch) geprägt. Mindestens ebenso viele Betroffene lehnen den Begriff ab, da er sie „auf ihre Kondition“ reduziere und in die selbe Kerbe schlagen auch viele Eltern mit dem selben Argument. Hier schön auf den Punkt gebracht (längeres Video, nur in Englisch verfügbar):  http://youtu.be/vdrl9kt6v2I . Nun mit dem Label „Aspi“ hab ich noch sehr wenig Bekanntschaft gemacht, aber mit Labels an sich dafür umso mehr…

Mein Problem mit dem Gedanken, mich auf irgendwelche Anomalien in meiner Psyche untersuchen zu lassen, war genau das, die Angst vor dem Label, dessen Macht über mich ich nicht mehr brechen kann (Wer wissen will was ich meine, der frage einen zu Unrecht der Vergewaltigung Beschuldigten!). Wie Eingangs erwähnt, ich lebe bald 25 Jahre mit meinem Körper und meiner Psyche. Es gibt keinen Spezialisten oder sonstigen Menschen der nur ansatzweise soviel davon kennt, bzw. versteht. Ich weiss wie nah ich am „Neuro“ drann bin, weshalb schon viele mit „Du doch nicht!“ reagiert haben. Aber ich weiss auch, wie verlockend es sein muss, gewisse unangenehme Seiten und  Ansichten an mir einfach zu ignorieren, indem man sie in die „Aspi“-Schublade knallt… Das ist mit das Schlimmste was man tun kann, jemandem der sehr wohl bei Verstand ist (Und WIE! Wer mich kennt, der weiss was ich meine.) die „Vollwertigkeit“ abzuerkennen aufgrund einer genetisch bedingten Kondition.

Ein Asperger-Spezialist, Tony Attwood, meint dazu: „Das Handicap eines Aspis ist seine Umwelt.“ Und er behält recht. Asperger bedeutet unbestreitbar, dass da Dinge anders funktionieren. Aber ist anders gleich falsch? Kannst du etwas für deine Augenfarbe? Oder Hautfarbe? (Guter Vergleich übrigens!) Wenn nicht, dann verstehst du vielleicht, wieviel ich für die Funktionsweise meines Gehirns kann. Überleg mal, wie sich das dann anfühlen muss, wenn du mich deswegen nicht für voll nimmst… Damit wären wir beim Kern und beim Schluss. Überleg dir, wie du dich fühlen würdest, wenn du für etwas ausgestossen, schlecht behandelt oder nicht ernst genommen wirst, für das du nichts kannst…

Was will ich mit diesem Text sagen? Schliessen wir den Kreis. Meine Beobachtung hat mir gezeigt, wie Menschen auf „Anders“ reagieren. Sie hat mir auch gezeigt, wie echt Akzeptanz und Toleranz in dieser Gesellschaft sind. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, was es bedeutet einen Stempel aufgedrückt zu kriegen. Die selbe Gesellschaft hat mich das „Anders sein“ fürchten gelehrt. Und doch steh ich heute hier zu mir und allem, was mich ausmacht, so auch dass ich ein „Aspi“ bin.

Kannst du mich so akzeptieren? Bedingungslos? Ich sage nicht, du sollst alle meine Marotten tolerieren, im Gegenteil, wenn ich scheisse baue, dann sag‘s mir gefälligst. Aber kannst du einfach, ohne voreingenommen zu sein, auf mich zukommen und sehen, was sich unsere Welten gegenseitig zu bieten haben?
 

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