Nun, knappe 25 Jahre in denen ich
regelmässig mit Personen konfrontiert war, die zwar vorgaben offen und tolerant
zu sein und die Leute zu akzeptieren wie sie sind, habe ich eines gelernt… Die
wenigsten sind es wirklich! Oft sitzen die Vorurteile, die ihnen eingetrichtert
wurden zu tief… Und oft sind es die
Instinkte, die reagieren, gegen derer sie nicht Herr werden.
Als Gesellschaft haben wir uns
seit jeher mit unseren Tabus und Paradigmen mehr geschadet als genutzt. Dereinst
galt die griechische Kultur als die weitest entwickelte. Dies war derart
unumstritten, dass die Römer diese in vielen Aspekten einfach übernahmen und
adaptierten, ohne die Fehler auszubessern wohlgemerkt. Dann haben sie diesen
Schimmel weiter geschmückt und zu Tode geritten. Ca. 450 n.Chr. haben sie die
Karre in den Dreck gefahren und die darauf folgenden dunklen Zeiten des
aufkommenden Christentums haben ihn mit reichlich Mist zugedeckt. Was geschah
dann? Ein paar Jungs sind beim Spielen über ein Wrack gestolpert und beschlossen
die Karre aufzumöbeln, Renaissance nannte sich das… Die haben allen Ernstes die
selbe alte Kamelle wieder zum Rollen gebracht, anstatt sie auszuschlachten und
heute fragen wir uns, wieso unser „Wagen“ so marode ist.?.
Diese Muster ziehen sich durch
unsere Geschichte und gleichzeitig hören wir dauernd, dass nur Querdenker die
grossen Änderungen bringen. Ich meine es gibt verdammt nochmal „Think outside
the Box“-Seminare… Hallo? Wir versuchen Leuten ab Stange beizubringen, wie sie
frei und kreativ denken können, nachdem wir sie in ca. 10 Schuljahren so schön auf
Stangenmasse gebracht haben. Es gibt sie in den Grössen „nichtsoklug“, „normal“
und „sehrklug“ anzuwerben, oder seh ich das falsch? Frag dich mal.
Genug Geschichtsstunde und
Soziologievorlesung, wir waren bei den Paradigmen. Paradigma heisst „Das
Ungesagte“, sprich es sind die Bedingungen, die wir stillschweigend akzeptieren
(müssen). In unserem Leben gibt’s tausende davon! Such dir schnell 3
Gegebenheiten, bei denen du jemanden fragen kannst „Wieso ist das so?“ und die
Antwort ist „Ist halt so, kann man nicht ändern.“ Na, wie viele mehr als 3 sind
dir eingefallen? Das Problem ist, dass wir mit so vielen dieser Paradigmen
leben, dass wir keinen Überblick mehr haben. Zudem beissen sich diese oft noch
und jeder stellt sich mit seinem Wertesystem noch ein eigenes Set an Paradigmen
zusammen.
Ein Beispiel: Kürzlich haben sich
die BLT (Baselland Transport AG) einem riesigen Entrüstungssturm stellen müssen,
da sie Bilder einer Kampagne, die für mehr Verständnis und Akzeptanz für
Homosexuelle wirbt, nicht auf ihren Werbeflächen zeigen wollten, da diese zu
anstössig seien. Nun, nach Jahrzehnten mit vielen solchen Kampagnen sind wir an
einem Punkt angelangt, an dem sich Homosexuelle in der Schweiz nicht mehr
verstecken müssen. Sie müssen keine Angst mehr vor Strafverfolgung haben und
sie werden auch nicht mehr von wütenden Mobs mit Mistgabeln aus der Stadt
getrieben. Alles gut, oder? Nein… Ich ziehe meinen Hut vor den Verantwortlichen
bei der BLT, für den Mut, eine solche Meinung öffentlich bekannt zu geben, denn
es ist wenigstens ehrlich. Das Paradigma zum Thema Homosexuelle lautet nämlich „Die darf man nicht offen
ablehnen, denn sie gelten als gesellschaftlich akzeptiert.“ Und da liegt der
Hund auch begraben.
Wir haben die Ablehnung Homosexueller
aus der Salonfähigkeit verbannt, nur um sie damit zum unkontrollierbaren
Schwelbrand zu machen. Oder kannst du etwa ungelogen behaupten nie irritiert
gewesen zu sein, wenn Homosexuelle ihre Sexualität offen ausleben (genau so
offen, wie Heteros), bzw. niemanden zu kennen, der im Kreise von Freunden offen
seine Abneigung zur schau stellt? AHA! Also doch… Da wird kräftig mit zweierlei
Mass gemessen! Und das gleich doppelt, denn in diesen halbprivaten
Gesprächsrunden, bei denen diese Abneigung zu Tage tritt, wird klar, dass bei „Homosexuellen“
oft noch kräftig zwischen Männern und Frauen unterschieden wird (Dabei schneidet
das jeweils eigene Geschlecht meist schlechter ab). Das selbe gilt für den
Rassismus, sämtliche „Identitätsfragen“ (Bsp. Transsexualität, sexuelle
Präferenzen, Berufswahl, Rollenmodelle Mann/Frau usw.) und ebenso für viele
Krankheiten, Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten.
Mit diesen Paradigmen des „institutionalisierten
Nichtausschliessens“ und der „gesellschaftlichen Zwangsakzeptanz“ haben wir einfach
eine neue weisse Weste über die verdreckte Alte
gezogen, statt diese wegzuwaschen. Ist das nun besser als das alte Vorgehen?
Gelebte Redefreiheit ist das nicht! Quand même, je ne suis pas Charlie. Im
Gegenteil, die Salonfähigkeit (ist sowas wie DAS OBERPARADIGMA) sagt mir
heutzutage klar, wem ich welche Lüge vorzulügen habe.
Sicher fragst du dich, in welchem
Zusammenhang dies zu mir steht, oder? Naja, einerseits hab ich die Schnauze von
Heuchelei und Selbstverleugnung sowas von voll und andererseits bin ich mit
einer Diagnose wie „Asperger-Syndrom“ prädestiniert für eine
Rundumschubladisierung. Früher auch schon, „Schnuuri“ war so ein Label, „Fett-irgendwas
(-klopps,-sack u.ä.)“ ein Anderes… Nichts schönes, das kann ich dir sagen! Und
heute hab ich das nächste an der Backe…
Viele Asperger-Betroffene
bezeichnen sich selbst mit dem Begriff „Aspi“ (bzw. englisch Aspie) und für die
„Normalos“ wurde der Begriff „Neuro“ (kurz für neurotypisch) geprägt.
Mindestens ebenso viele Betroffene lehnen den Begriff ab, da er sie „auf ihre
Kondition“ reduziere und in die selbe Kerbe schlagen auch viele Eltern mit dem
selben Argument. Hier schön auf den Punkt gebracht (längeres Video, nur in
Englisch verfügbar): http://youtu.be/vdrl9kt6v2I . Nun mit
dem Label „Aspi“ hab ich noch sehr wenig Bekanntschaft gemacht, aber mit Labels
an sich dafür umso mehr…
Mein Problem mit dem Gedanken,
mich auf irgendwelche Anomalien in meiner Psyche untersuchen zu lassen, war
genau das, die Angst vor dem Label, dessen Macht über mich ich nicht mehr
brechen kann (Wer wissen will was ich meine, der frage einen zu Unrecht der
Vergewaltigung Beschuldigten!). Wie Eingangs erwähnt, ich lebe bald 25 Jahre
mit meinem Körper und meiner Psyche. Es gibt keinen Spezialisten oder sonstigen
Menschen der nur ansatzweise soviel davon kennt, bzw. versteht. Ich weiss wie
nah ich am „Neuro“ drann bin, weshalb schon viele mit „Du doch nicht!“ reagiert
haben. Aber ich weiss auch, wie verlockend es sein muss, gewisse unangenehme
Seiten und Ansichten an mir einfach zu
ignorieren, indem man sie in die „Aspi“-Schublade knallt… Das ist mit das
Schlimmste was man tun kann, jemandem der sehr wohl bei Verstand ist (Und WIE! Wer
mich kennt, der weiss was ich meine.) die „Vollwertigkeit“ abzuerkennen
aufgrund einer genetisch bedingten Kondition.
Ein Asperger-Spezialist, Tony
Attwood, meint dazu: „Das Handicap eines Aspis ist seine Umwelt.“ Und er behält
recht. Asperger bedeutet unbestreitbar, dass da Dinge anders funktionieren.
Aber ist anders gleich falsch? Kannst du etwas für deine Augenfarbe? Oder
Hautfarbe? (Guter Vergleich übrigens!) Wenn nicht, dann verstehst du
vielleicht, wieviel ich für die Funktionsweise meines Gehirns kann. Überleg
mal, wie sich das dann anfühlen muss, wenn du mich deswegen nicht für voll
nimmst… Damit wären wir beim Kern und beim Schluss. Überleg dir, wie du dich
fühlen würdest, wenn du für etwas ausgestossen, schlecht behandelt oder nicht
ernst genommen wirst, für das du nichts kannst…
Was will ich mit diesem Text
sagen? Schliessen wir den Kreis. Meine Beobachtung hat mir gezeigt, wie
Menschen auf „Anders“ reagieren. Sie hat mir auch gezeigt, wie echt Akzeptanz
und Toleranz in dieser Gesellschaft sind. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt,
was es bedeutet einen Stempel aufgedrückt zu kriegen. Die selbe Gesellschaft
hat mich das „Anders sein“ fürchten gelehrt. Und doch steh ich heute hier zu
mir und allem, was mich ausmacht, so auch dass ich ein „Aspi“ bin.
Kannst du mich so akzeptieren?
Bedingungslos? Ich sage nicht, du sollst alle meine Marotten tolerieren, im
Gegenteil, wenn ich scheisse baue, dann sag‘s mir gefälligst. Aber kannst du
einfach, ohne voreingenommen zu sein, auf mich zukommen und sehen, was sich
unsere Welten gegenseitig zu bieten haben?